Dr. Katrin Praprotnik
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Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften
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Titel des Forschungsprojektes:
Demokratiestabilität in Europa. Auswirkungen neuer Parteien auf die politische Repräsentation
Mentor:
Prof. Dr. Kai-Uwe Schnapp
Hintergrund des Projekts:
Die These der eingefrorenen Parteiensysteme von Lipset und Rokkan (1967) wird seit der Entstehung von Grünen Parteien und den jüngsten Wahlerfolgen von rechtspopulistischen Parteien in vielen Ländern Europas zunehmend herausgefordert. Parallel zu den Veränderungen der Parteiensysteme stieg auch das politikwissenschaftliche Interesse an der Entstehung neuer Parteien. Die ersten Studien in diesem Gebiet befassten sich allerdings vorrangig mit einzelnen Ländern oder einzelnen Parteienfamilien (z.B.: Arzheimer 2009; De Winter und Türsan 1998; Kitschelt 1988; Levi und Hechter 1985; MüllerRommel 2002; Poguntke 2002; Swank und Betz 2003; Urwin 1983). Der Fokus auf jeweils eine Parteienfamilie hat dazu geführt, dass jeweils unterschiedliche Faktoren für die Entstehung der neuen politischen Akteure herangezogen wurden und kaum Rückschlüsse auf ein allgemein gültiges theoretisches Konzept geschlossen werden konnten. In Antwort auf diese Forschungslücke entstanden einige Studien, die danach strebten eine möglichst große Anzahl an Wahlen in einer Vielzahl an Ländern zu untersuchen (z.B.: Hino 2012; Hug 2001).
Die empirische Evidenz dieser Studien ist zweifelsfrei beeindruckend, doch zwei Schwächen dieses Ansatzes belegen meiner Einschätzung nach den Bedarf an weiterer Forschung: Erstens, unter dem Begriff der political opportunity structure (POS) subsumierten die Autoren unterschiedlichste Faktoren, die die Entstehung neuer Parteien beeinflussen könnten. Eine Diskussion der Kausalmechanismen blieb dabei oftmals aus. Diese Kritik teilte auch die Autorin Tavits (2006: 101), die deshalb in ihrer Analyse zur Entstehung neuer Parteien auf die von Cox (1997) entwickelte Theorie des strategischen Eintritts setzte. Die Theorie fußt auf der Annahme rationaler Akteure, die vor einem Eintritt in die politische Arena die zu erwartenden Vorteile gegenüber den Kosten und der Wahrscheinlichkeit einer ausreichenden Unterstützung an den Wahlurnen abwägen. Dieses theoretische Konstrukt erscheint meines Erachtens geeignet für eine systematische Analyse der Entstehung neuer Parteien.
Die zweite Schwäche der eingangs erwähnten Studien, die auch in der Studie von Tavits zu finden ist, ist die Messung der Entstehung neuer Parteien und damit die Messung der abhängigen Variablen. Die Studien versuchen die Entstehung einer Partei zu erklären, messen dies jedoch mit dem Erfolg einer Partei zum Zeitpunkt einer Wahl. Anders ausgedrückt, die Studien messen wann WählerInnen bereit sind, ihre Stimme einer neuen Partei zu geben. Sie nehmen daher den Blickwinkel der WählerInnen, oder der Demand Side von Wahlen ein. Dies ist jedoch keine Erklärung für die Entstehung neuer Parteien selbst, das heißt für die Entscheidung eines Individuums oder einer Gruppe von Individuen eine neue Partei zu gründen. Nicht zuletzt deshalb, weil die Organisation einer neuen politischen Kraft mit erheblichen Aufwand verbunden ist, fällt deren Entstehung wohl in den seltensten Fällen mit dem Zeitpunkt einer Wahl zusammen.
Ich argumentiere, dass die Entstehung von Parteien anhand ihres tatsächlichen Gründungsdatums analysiert werden muss. Nur dann besitzen unabhängige Variablen auch eine Erklärungskraft für das Handeln neuer politischer Akteure. Ein Beispiel kann dies verdeutlichen: Der Anstieg der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 kann für WählerInnen ausschlaggebend gewesen sein, bei der Hamburger Bürgerschaftswahl 2015 der Alternative für Deutschland (AfD) ihre Stimme zu geben. Die Situation der Flüchtlinge im Jahr 2015 kann jedoch kein überzeugender Erklärungsfaktor für die Gründung der AfD gewesen sein, die bereits im Jahr 2013 stattgefunden hat. Daraus schlussfolgere ich, dass für ein Verständnis über ParteigründerInnen das tatsächliche Gründungsdatum herangezogen und in Verbindung mit den Entwicklungen der unabhängigen Variablen zu diesem Zeitpunkt gesetzt werden muss. Nur ein solches Design erlaubt die Analyse von Seiten der Parteien, das heißt von der Supply Side von Wahlen.
Zielsetzung des Projekts:
Das Ziel des Forschungsprojekts ist es, eine Erklärung für die Entstehung neuer Parteien zu erarbeiten. Die gegenwärtigen repräsentativen Demokratien, sowie deren Kooperation im Rahmen der Europäischen Union, haben zu der bislang längsten Periode des Friedens innerhalb Europas geführt. Ich möchte mit meiner Forschung zur Entstehung neuer Parteien zu einem differenzierten Verständnis über die Stabilität und damit die Nachhaltigkeit repräsentativer Demokratien beitragen. Meine Untersuchung soll zeigen, welche gesellschaftlichen Veränderungen zu Veränderungen in der Parteienlandschaft geführt haben. Der Fokus liegt auf den Potentialen, die Parteigründungen mit sich bringen - etwa durch ein neues inhaltliches Angebot an bislang enttäuschte WählerInnen - und auch auf den damit verbundenen Gefahren - etwa durch eine Politik, die Ängste schürt und zu einer zunehmenden Verrohung der politischen Debatte führt. Analysiert werden Parteineugründungen in 20 westeuropäischen Ländern im Zeitraum von 1990 bis 2015.
Vorgehen:
Dem Forschungsprojekt liegt ein empirisches, quantitatives Analysedesign zu Grunde. Erklärt werden soll die Entstehung neuer Parteien pro Jahr und Land (= abhängige Variable). Das theoretische Erklärungsmodell liefert die Theorie des strategischen Einstiegs von Cox (1997). Die erklärenden (= unabhängigen) Variablen sind dabei die Kosten und Vorteile einer Parteigründung sowie die Wahrscheinlichkeit des Wahlerfolgs. Die Analyse basiert schließlich auf Count Regressionsmodellen.
Die Entstehung neuer Parteien pro Jahr und Land wird in zwei Schritten erhoben:
Im ersten Schritt werden anhand der Datenbank der Interparliamentary Union (2016) die Wahlergebnisse und damit das Auftreten neuer politischer Akteure in einem System identifiziert. Im zweiten Schritt werden insbesondere anhand von Publikationen in der Fachzeitschrift Electoral Studies (Rubrik Notes on Recent Elections) die tatsächlichen Gründungsdaten der neuen Akteure recherchiert. Zusätzlich werden die Informationen durch Wahllisten, die oftmals durch das Innenministerium herausgegeben werden, sowie durch Homepages der Parteien kontrolliert und ergänzt.
Die primären Quellen der Datenerhebung der unabhängigen Variablen sind insbesondere das Electoral Knowledge Network (2016) für die Recherche nach den Kosten einer Parteigründung, eine Erweiterung des Korporatismus Indexes von Siaroff (1999) für die Bezifferung der Vorteile einer Parteigründung sowie Daten aus Experteninterviews zur Positionierung von Parteien (Bakker et al. 2015; Hooghe et al. 2010; Huber und Inglehart 1995; Laver und Hunt 1992; Steenbergen und Marks 2007) um die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs einer Parteineugründung einzuschätzen.